„Die Universität muss auch eine Eigensteuerung entwickeln.“

„Die Universität muss auch eine Eigensteuerung entwickeln.“
„Die Universität muss auch eine Eigensteuerung entwickeln.“

Ein gutes halbes Jahr ist der ehemalige BTU-Präsident Jörg Steinbach nun schon Wirtschaftsminister des Landes Brandenburg. Während die Suche nach einem Nachfolger noch kein Ergebnis einbrachte, konnte die BTU mit dem Bau des Gründungszentrums in Campusnähe, der Kooperation mit dem 3D-Druck-Unternehmen Apworks und der Ansiedlung verschiedener Institute für einige positive Schlagzeilen sorgen. Der Motor läuft, könnte man meinen – aber sind Fraunhofer & Co. wirklich die Heilsbringer für unsere Uni? Im Interview mit Jörg Steinbach gehen wir auf die Suche nach Impulsen und Nachwirkungen und finden heraus, wo neben der Präsidentensuche noch Handlungsbedarf besteht.

Wissenschaftsministerin Martina Münch bezeichnete die BTU in unserem Interview zur Vorjahresausgabe dieses Hochschulmagazins als künftigen Motor der Lausitzer Strukturentwicklung. Läuft dieser Motor Ihres Erachtens schon rund?

Der Motor nimmt Fahrt auf. Im wissenschaftlichen Bereich kann man jetzt schon recht zufrieden sein. Ein Indiz dafür ist die Bereitschaft der außeruniversitären Forschung, sich an der BTU anzusiedeln.

Während in westlichen Industrieregionen ca. 70 % der Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft und ca. 30 % in der Hochschullandschaft erfolgen, ist es im Osten genau umgekehrt. Warum ist das so und gibt es Wege, dieses Missverhältnis auszugleichen?

Ist das überhaupt ein Missverhältnis? Im Osten wird die Wirtschaftsstruktur von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt. Das sind per se nicht die forschenden Unternehmen, sondern die „just in time“-produzierenden. Daher gestaltet es sich schwierig, dort Forschung und Entwicklung zu integrieren. Wenn man an dem Verhältnis etwas ändern möchte, dann bedürfte es der Ansiedlung von explizit forschenden Unternehmen. Das kann man sich im medizinischen und pharmazeutischen Bereich vorstellen, aber in anderen Bereichen gestaltet sich das schwierig.

Können die neuen Institute, die an der BTU entstehen sollen, eine Rolle dabei spielen, dass Forschung und Entwicklung in den Unternehmen stattfinden?

Sie können bewirken, dass Unternehmen auf die Lausitz aufmerksam werden, von ihr profitieren wollen und mit einer Tochtergesellschaft oder Zweigstelle in die Region kommen. Von dieser Motorfunktion der Institute bin ich überzeugt. Ob diese Unternehmen dann selber in Forschung investieren, ist eine andere Frage.

Sehen Sie die zukünftigen Institute hauptsächlich als Impulsgeber für den Technologietransfer oder auch als Anziehungspunkt für Studierende?

Lassen Sie mich da mal zurückblicken auf meine Zeit als Präsident der Technischen Universität in Berlin: Das Renommee der dort ansässigen Institute war – und ist – weit über Deutschland hinaus bekannt. Viele Studierende suchten sich seinerzeit den Studienort Berlin ganz gezielt aus, weil sie in diesen Instituten in der ersten Reihe mit tätig sein konnten – ob im produktionstechnischen Zentrum, im Heinrich-Hertz-Institut oder bei Fraunhofer. Für die BTU hoffe ich insbesondere für den Masterbereich, dass mehr Absolventen nach dem Bachelor in Cottbus oder Senftenberg bleiben und der Zuzug für diesen Studienzyklus zunimmt.

Wie wollen Sie vermeiden, dass es zwischen bestehenden BTU-Lehrstühlen und Instituten mit ähnlicher Ausrichtung zu Kannibalisierungseffekten bei der Akquise von Projekten und Drittmitteln kommt?

Kannibalisierung sehe ich eher als Risiko, wenn sich Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer mit eigenen Institutionen selbstständig machen und ihre Forschungstätigkeit in diese Ausgründungen verlagern. Wenn die außeruniversitäre Forschung hingegen von außen neu hinzukommt, sehe ich keine Kannibalisierungsgefahr. Wie man an anderen großen Hochschulen in München oder Aachen gesehen hat, wirkt das sogar befruchtend.

Einige Lehrstühle der BTU monieren den Rückbau des wissenschaftlichen Mittelbaus zugunsten der Verwaltung. Wie wichtig ist dieser Mittelbau für Forschung und Entwicklung, wie wichtig als Merkmal für Studierende und Studieninteressenten?

Zunächst muss ich korrigieren: Der Mittelbau ist nicht zugunsten der Verwaltung reduziert worden. Richtig ist, dass in der Verwaltung Stellen wiederbesetzt wurden, die für einen reibungslosen Betrieb dringend gebraucht wurden. So hat sich das Verhältnis nominell verschoben.
Grundsätzlich ist diese Kritik aber berechtigt. Ein leistungsstarkes Fachgebiet in den Natur- oder Ingenieurswissenschaften braucht eine Mindestbesetzung von drei Mitarbeitern. Diese Ausstattung ist an der BTU derzeit nicht zu realisieren.

Mit Blick auf den Wandel im Rheinischen Revier: Auf einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an zentralen Lehrstühlen der BTU kommen sechs an der RWTH Aachen, vergleichen wir hier Äpfel mit Birnen oder muss an der BTU nachgebessert werden?

Hier müssen wir genauer hinschauen. Dieses Verhältnis gibt es, keine Frage. Es handelt sich in Aachen aber nicht nur um Haushaltsangestellte. Über Drittmittel eingeworbene Stellen werden dabei mitgezählt. Dass jede Haushaltsstelle nochmal durch eine Stelle gespiegelt wird, die man in der Forschung einwirbt, muss das Ziel sein.

Im vergangenen Jahr waren Sie selbst noch Präsident der BTU. Wie wirkt das auf Ihr Engagement als heutiger Wirtschaftsminister Brandenburgs nach?

In vielerlei Beziehung. Als Wirtschaftsminister sehe ich mich in der brückenschlagenden Funktion, Wirtschaftsunternehmen stärker in eine für beide Seiten vorteilhafte Kooperation mit den Universitäten und Hochschulen des Landes Brandenburg zu führen. Das Thema Digitalisierung beispielsweise wird die mittelständische Wirtschaft der Region nicht alleine bewältigen können. Sie braucht dazu junge Menschen aus den Hochschulen, die beispielsweise zwei oder drei Jahre im Rahmen eines Digitalisierungsprojektes in den Wirtschaftsunternehmen arbeiten. Vielen dieser jungen Menschen würde man sicherlich noch vor Ende der Projektzeit eine feste Stelle anbieten. Insofern kann dadurch eine Win-win-Situation entstehen – und im Resultat neue, moderne Arbeitsplätze, was auch in meinem Interesse als Wirtschaftsminister liegt.

Als Wirtschaftsminister muss Ihnen auch eine neue Unternehmerkultur aus der BTU heraus am Herzen liegen. Reicht ein Gründerzentrum als Impuls, um eine Start-up-Kultur an der BTU zu etablieren?

Das Innovationszentrum, das aktuell in der Universitätsstraße gebaut wird, wird von der Erscheinung und Struktur her eines der attraktivsten Innovationszentren im Osten Deutschlands werden. Ich hoffe schon, dass das eine oder andere Start-up, das auf dem Wege nach oben ist – vielleicht auch aus dem Berliner Raum, wo die Idee generiert worden ist – in die Lausitz geht und die ersten drei Jahre in Cottbus verbringt. Es wird eine wesentliche Aufgabe von Land, Kommune und Landkreis sein, dafür zu sorgen, dass diese Start-ups anschließend eine Perspektive außerhalb des Innovationszentrums, aber in der Region bekommen.

Welche Rolle spielt hierbei und für die Gewinnung der Studierenden der Ruf der Stadt, und wie sehr passt das oft negative Bild der Medien zur von Ihnen erlebten Realität?

Ich wurde neulich an einer anderen Stelle kritisiert, dass ich dieses Problem kleinreden würde. Diesen Vorwurf weise ich zurück. Andererseits sage ich aber auch: Wenn man ausschließlich über Probleme einer Stadt berichtet, schadet das dem Image. Es gibt doch auch jede Menge gute Nachrichten aus Cottbus – wie die Ansiedlung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Aber gerade negative Nachrichten werden immer wieder betont. Und es wird dabei vielfach nicht aufgezeigt, dass es sich um eine Minderheit in Cottbus handelt, die für diese schlechten Nachrichten sorgt.
Menschen, die sich zum Beispiel im Rahmen von „Cottbus ist Bunt“ enorm engagieren, Flüchtlinge integrieren und ein weltoffenes Bild der Stadt zeigen, sollten viel öfter in der Presse auftauchen.

Verschiedene Hochschulen setzen auf Exzellenz in einem bestimmten Cluster, bei der BTU wird dabei meist Energie und Umwelt ins Spiel gebracht. Ist das breite Spektrum von Energie über Biotechnologie und Bauwesen bis hin zu Pflege vorteilhaft?

Die Aufstellung war ein Kompromiss. Man hätte sich durchaus eine Struktur vorstellen können, die sich ausschließlich um die Stärken im Energie- und Umweltbereich ausgerichtet hätte. Aber wenn wir diesem Weg gefolgt wären, wäre der fachhochschulische Teil mit Ausnahme von Biotechnologie und Chemie der große Verlierer der Fusion geworden.

Sie haben einst Professor Bambach an die BTU geholt, der jüngst die Apworks-Ansiedlung initiierte. Gibt es weitere Impulse aus Ihrer Amtszeit, deren Früchte wir jetzt erwarten dürfen?

Professor Bambach war sicherlich eine der erfolgreichsten Berufungen, aber es gibt noch andere Kolleginnen und Kollegen, von denen ich ganz genau weiß, dass die der BTU in denselben Größenordnungen zu positiven Schlagzeilen verhelfen können. Beispielsweise wäre da Professor Kölpin zu nennen – ein absoluter Spitzenmann im Bereich der Sensorik, der als ein Jungprofessor die Steuerung der Ariane 5 für die europäische Raumfahrt macht. Ich bin überzeugt, dass er tolle Projekte nach Cottbus holen wird – was sich de facto auch positiv auf das Renommee der BTU auswirken wird. Wir haben in der Physik junge, wilde NachwuchswissenschaftlerInnen gewinnen können, die noch dabei sind, sich auf ihrem Karrierepfad in der wissenschaftlichen Community einen Ruf zu erarbeiten.

Gibt es andererseits Sachen, die Sie gern noch auf den Weg gebracht hätten?

Ich möchte das mit einem Bild transportieren: Wenn zwei Musiker der Wiener Philharmoniker durch den Prater spazieren und der eine den anderen fragt, wer denn heute Abend dirigiert. Und der andere antwortet: „Weiß ich nicht, aber spielen tun wir Beethovens Neunte.“ Damit meine ich: Die Universität muss versuchen, auch eine Eigensteuerung zu entwickeln – diese Mentalität kenne ich zumindest von anderen Hochschulen. Man ist als Präsidentin oder Präsident doch immer dann in der besten Position, wenn man nur gegen zu starke Auslenkungen ein bisschen korrigiert, nicht aber, wenn man jeden Schritt dominiert. Die Identifikation mit Projekten ist am größten, wenn sie auf Eigeninitiative und aus eigenen Ideen heraus entstanden sind.

Wenn Sie als junger Student nochmal die Wahl hätten, sich an der TU Berlin oder der BTU einzuschreiben, was würde bei der BTU auf der Pro- und Contra-Liste stehen?

Auf der Pro-Liste stünde mit Sicherheit ein deutlich weniger anonymes Studieren. Man kennt den Professor und kommt an die wichtigen Personen persönlich heran, hat kurze Wege und eine tolle Bibliothek mit einem super Service. Das ist in einem Moloch wie der TU Berlin, der TU Dresden oder der RWTH Aachen einfach nicht möglich. Trotzdem müsste ich in der Lausitz kaum auf Dinge verzichten, die ich mit der Lebensqualität in Berlin verbinde.

Für die Contra-Liste fällt mir eigentlich schon qua meines ehemaligen Amtes gar nichts ein …