„Eine deutliche Profilierung würde der BTU Auftrieb geben.“


Unter jungen Menschen wächst der Glaube, dass der bundespolitisch eingeschlagene Weg der Energiewende und des Kohleausstiegs für den Umwelt- und Klimaschutz immer wichtiger wird. In der Lausitz gibt es für BTU-Studierende nicht selten ein Erwachen. Wir sprachen mit Prof. Dr.-Ing. Harald Schwarz, der eines der beiden zentralen Energie-Fachgebiete der BTU Cottbus-Senftenberg leitet: die Energieverteilung und Hochspannungstechnik.
Was halten Sie selbst von der Diskussion um den Kohleausstieg?
Ich sehe keinen Kohleausstieg vor dem Jahr 2050. Die Energiewende dauert bereits 20 Jahre an. In dieser Zeit lag der Fokus auf dem massiven Ausbau von Windenergie- und Photovoltaikanlagen. Es fehlt aber immer noch ein klares Konzept für eine gesicherte Stromversorgung ohne Kohle. Es wird wesentlich mehr als 20 Jahre brauchen, um alle notwendigen Energieanlagen zu errichten, um aus der stark schwankenden Einspeisung aus Wind und Sonne eine verlässliche Stromversorgung zu machen. Den Vorschlag von Herrn Pofalla, bis 2038 aus der Kohle auszusteigen, halte ich schlicht für unmöglich.
Sehen Sie trotz der Ausstiegsdiskussionen eine Zukunft in Forschung rund um fossile Energien?
Da ich überzeugt davon bin, dass Kohlekraftwerke in den nächsten 30 Jahren für eine sichere Stromversorgung unerläßlich sein werden, sind Forschungsarbeiten zur Erhöhung der Regeldynamik und zur Absenkung der technischen Mindestleistung ganz wesentlich, um einen wachsenden Anteil fluktuierender regenerativer Einspeisung durch einen sinkenden Anteil von hochdynamischen Kohlekraftwerken stabil am Netz halten zu können. Zwar gibt es einige Trainingssimulatoren für den sicheren (meist europäischen) Netzbetrieb. Für den Standort Lausitz wäre es aber sicher sinnvoll, das Trainingszentrum der LEAG für den Kraftwerksbetrieb mit dem neuen Netzsimulator an der BTU zu verbinden. Ein solches Konzept bedingt aber auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung.
Nehmen Sie bei Studierenden eine gewisse Distanz zu Kohlethemen wahr?
Das ist vom Studiengang abhängig. Der Masterstudiengang Power Engineering besteht zu 95% aus ausländischen Studierenden. Dort ist der Blick auf das Zusammenspiel fossiler und erneuerbarer Energieträger ein anderer. So wird in China ein Großteil der Erneuerbaren aus grundlastfähigem Wasser gewonnen und die Energiewende so weniger zu einer Glaubensfrage. Die deutschen Studierenden kommen in der Regel aus der Elektrotechnik. Dort wächst schon im 2. Semester das Verständnis, wie Energieversorgung in Deutschland funktioniert und dass die aktuellen Pläne der Energiewende an reiner Physik scheitern müssen. Eher ökologisch orientierte Studiengänge bringen hingegen wenig technische und physikalische Grundlagen mit. Dort ist häufig keine Skepsis zur Energiewende zu vernehmen – bei Vorlesungen im energietechnischen Bereich gibt es dann ein Erwachen.
Wäre es für die BTU sinnvoll, sich stärker auf Energiethemen zu konzentrieren?
Da wir in diesem Herbst vermutlich im 5. Jahr in Folge sinkende Studentenzahlen haben werden, wäre eine deutliche Profilierung definitiv hilfreich, um der BTU wieder einen Auftrieb zu geben. Eine Möglichkeit wäre die Ausrichtung auf englischsprachige Studiengänge und Doppelabschlüsse – eine internationale Hochschule. Eine andere Option wäre eine Sparten-Universität mit einer ganz starken Profilierung in 2 bis 3 ingenieurwissenschaftlichen Bereichen. Hierzu könnte der Leichtbau, aber auch die Energietechnik gehören. Für eine solche Profilierung bräuchte man aber eine entsprechend hohe finanzielle Ausstattung und den Willen des Landes zur Umsetzung. Beides kann ich momentan nicht erkennen.
Liegt es in einer traditionellen Energieregion nicht nahe, auf Energiethemen zu setzen?
Mit dem Know-how der Region könnte man diesen Schwerpunkt problemlos festlegen. Im Energiebereich wird hier schon immer ein Großteil der Forschungsprojekte hervorgebracht. Die Landesregierung müsste dann aber den politischen Willen aufbringen und das Geld dafür in die Hand nehmen. Sowohl die Anzahl der Professuren, als auch die Zahl wissenschaftlicher Mitarbeiter pro Professur in diesen Kernbereichen müssten deutlich erhöht werden.
Die BTU wird einen neuen Präsidenten bekommen, welche Kompetenzen sollte der mitbringen?
Es sollte ein Ingenieur sein, damit das Verständnis für technische Themen vorhanden ist. Gerade die Entscheidungen aus dem Bauch heraus sind bei Präsidenten, die über eine Nähe zu technischen Prozessen verfügen, überwiegend richtig. Er muss sich auf jeden Fall mit den Nachwehen der „Neugründung“ auseinandersetzen und sollte der personellen Ausstattung im Forschungsbereich endlich mehr Beachtung geben.
Prof. Dr.-Ing. Schwarz erklärt: Die Grenzen der Energiewende
Auf jedem Strommarkt gibt es Abnehmer, die den Strom benötigen. Die von ihnen benötigte Leistung unterliegt jährlichen, monatlichen, täglichen und minütlichen Schwankungen. Man spricht hierbei vom Lastprofil. Die Stromerzeugung muss diesem Profil minutenscharf folgen. Um diesem Bedarf stets nachkommen zu können, bedarf es der sogenannten gesicherten Leistung, die jederzeit zuverlässig abrufbar ist. Konventionelle Energieträger liefern zuverlässig: Strom aus Braun-, Steinkohle oder Kernkraft kann jederzeit dem Lastprofil angeglichen werden. Bei Windkraft und Photovoltaik ist die gesicherte Leistung hingegen nahe Null. Es gibt große Schwankungen von der Dunkelflaute mit komplettem Leistungsausfall bis zur extremen Überversorgung. Man müsste Engpässe bei Wegfall von Wind und Sonne also ausgleichen. Wie funktioniert das?
Variante 1: Energie aus Gas, Braun- und Steinkohle wird ergänzend beigesteuert. So geschieht es in Deutschland heutzutage. Die konventionellen Kraftwerke arbeiten immer dann, wenn Wind- und Solarenergie nicht zur Verfügung stehen. Da diese auch komplett ausfallen können, müssten die konventionellen Kraftwerke auch komplett versorgen können – im Ergebnis muss das Land zwei Stromsysteme unterhalten.
Variante 2: Es werden Speicher für überschüssige Wind- und Solarenergie gebaut. Um die gigantische Menge zu errichten, die für einen Verzicht auf konventionelle Energieträger nötig wäre, würden nicht einmal 30 Jahre reichen, von den immensen Kosten ganz abgesehen. Auch der Bau von Gaskraftwerken im benötigten Ausmaß würde einen ähnlichen Zeitraum brauchen, zudem sorgen auch sie für Emissionen. Steigt man aus Kohle und Atom aus, müsste also der Strommarkt aus dem Ausland herhalten. Viele Nachbarländer steuern jedoch ebenso auf regenerative Energien um, haben Kraftwerkskapazitäten abgebaut und folglich zur selben Zeit den gleichen Mangel. Blieben Nachbarn hingegen bei konventionellen Kraftwerken, würde Deutschland konventionell erzeugten Strom aus dem Ausland kaufen – an den CO2-Emissionen würde sich rein nichts ändern.
Unabhängig von diesen Gegebenheiten gibt es in Deutschland derzeit kein Konzept für eine gesicherte Stromversorgung ohne fossile Energieträger. Und wir wissen, wie viel Zeit Veränderungen in unserem Land benötigen. Deshalb sehe ich keine Möglichkeit, vor 2050 auf Kohle zu verzichten.