Animes und die Oscar-Verleihung
Die japanische gehört zu den größten Animationsindustrien der Welt – bei der Vergabe der Oscars spiegelt sich das aber nicht wider.
„Chihiros Reise ins Zauberland ist einer der besten Animationsfilme, die jemals gemacht wurden. Er könnte besser sein als jeder Disney-Film, den ich je gesehen habe. Er war eine wahre Inspiration.“
Damit drückte Steven Spielberg 2018 seine Faszination für den japanischen Animationsbereich aus – vor allem für Werke, wie „Akira” oder Studio Ghiblis „Chihiros Reise ins Zauberland”. Und als einer der bekanntesten Regisseure aller Zeiten und wenigen Gewinner von zwei Regie-Oscars haben seine Worte wirklich Gewicht, stehen hier aber ironischerweise gegen genau den Mann, der bis heute mit Abstand die meisten Oscars hält – Walt Disney mit 26 Stück – bzw. gegen das Imperium, das dieser hinterlassen hat.
Der Disney-Award
So hat Chihiros Reise ins Zauberland zwar 2003 selbst einen Oscar für den besten Animationsfilm gewonnen, dieser seit 2002 jährlich vergebene Award geht sonst aber fast ausschließlich an Disney bzw. das gekaufte Studio Pixar – von 22 Oscars können sie 15 ihr Eigen nennen. Aber auch im Vergleich zu den anderen Siegern ist der japanische Animefilm eine Besonderheit, er ist nämlich japanisch. Die weiteren 6 Oscars wurden nämlich für Produktionen aus den USA (4), Großbritannien (1) oder Australien (1), also ausschließlich englischsprachigen Ländern, vergeben. Allgemein waren von den bisher 95 nominierten Filmen nur sieben aus Japan, davon sechs vom Studio Ghibli. Und auch in der Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“, die schon seit 1932 existiert, können japanische Produktionen lediglich drei Nominierungen verzeichnen, von denen immerhin eine gewann.
Musterbeispiel 2017/18
Für besondere Furore in der Anime-Community sorgte vor allem die Oscar-Wahl 2018, als von fünf zur Vorauswahl gestellten Animefilmen kein einziger eine Nominierung erhielt. Neben „In this Corner of the World”, „Sword Art Online – The Movie: Ordinal Scale”, „Mary und die Blume der Hexen” und „Ancien und das magische Königreich” hatte man nämlich vor allem an „A Silent Voice”, ein ergreifender Film über Mobbing und Vergebung, hohe Erwartungen. Dass stattdessen „The Boss Baby” oder „Ferdinand – Geht STIERisch ab!” eine Nominierung erhielt, streute nochmal zusätzlich Salz in die Wunde. Aber auch Makoto Shinkais „Your Name” von 2017, der bis heute zu den drei Animefilmen mit dem meisten Umsatz an den Kinokassen gehört, erhielt keine Nominierung. Warum scheinen Animes einfach keine Oscars zu bekommen?
Academy Award
Besser unter seinem Spitznamen „Oscar” bekannt, ist der seit 1929 vergebene Preis der bekannteste der ganzen Filmindustrie. Die dahinter stehende Organisation „Academy of Motion Picture Arts and Sciences” wurde dabei schon zwei Jahre früher mit dem ursprünglichen Ziel, die Filmkunst zu fördern, geschaffen und entscheidet auch bis heute noch über die Vergabe des Awards. Und weil die Mitglieder selbst bekannte Größen aus den Bereichen Regie, Schauspiel etc. sind, führt dies dazu, dass lange Zeit ein Hauptteil der Stimmberechtigten selbst aus dem Bereich Hollywood kamen und dementsprechende Affinitäten aufzeigte.
So zeigte eine Umfrage der Los Angeles Times 2014, dass die Mitglieder zu 94 Prozent weiß, 77 Prozent männlich und ihr mittleres Alter 63 Jahre war nicht gerade das Profil eines typischen Animefans. Und gerade als 2016 zum zweiten Jahr in Folge alle für den Oscar nominierten Darsteller Weiße waren und die #OscarsSoWhite-Debatte losgetreten wurde, hatte die Organisation einen waschechten Skandal an der Backe, von dem sich die Einschaltquoten bis heute nicht wirklich erholt haben. Und auch die Anime-Community traf es 2015 wie ein Schlag ins Gesicht, als ein Mitglied der Academy in einem Interview mit den Worten »I only watch the ones that my kid wants to see…« und »these two obscure freakin’ Chinese fuckin’ things that nobody ever freakin’ saw« (Andeutung auf „Die Legende der Prinzessin Kaguya” von Studio Ghibli), bereits bestehende Befürchtungen bestätigte: Die Auswahl wird anscheinend oft durch die Vorliebe der Kinder der Mitglieder beeinflusst und US-Kultur bevorzugt.
(K)ein letzter Triumph
Und damit schließt sich auch der Kreis, mit dem Grund, warum nun trotz der Umstände „Chihiros Reise ins Zauberland” doch einen Oscar gewonnen hat, dessen Auslandslizenzen gehörten nämlich Disney, die zusätzlich in den Animefilm investiert hatten. So wurde jedes der bisher nominierten Studio Ghibli Werke von Disney in den USA distribuiert und von bekannten Persönlichkeiten der Hollywood-Szene synchronisiert. Und auf der Seite von D23, dem offiziellen Fanclub von Disney, wird dieser Oscar sogar als 83. von Disney geführt.
Neues Zeitalter
Für die Zukunft besteht jedoch ein bisschen Hoffnung, dass das Auswahlverfahren der Oscars diverser werden, da die Organisation das Problem bzw. dessen Auswirkung auf die Einschaltquoten mittlerweile selbst erkannt hat und „bunter” werden will. So waren laut Mitteilungen 2022 schon 44 Prozent der mittlerweile 10.000 Akademie-Mitglieder Frauen und mehr als 50 Prozent keine US-Amerikaner. Animes selbst werden aber auch immer beliebter, so zeige Makoto Shinkais neuester Film „Suzume” laut ihm selbst, dass „die Einnahmen von japanischen Animes an den globalen Kinokassen ein neues Zeitalter erreicht hätten”. So erreichte „Suzume” den vierthöchsten Umsatz eines Animes aller Zeiten und war damit schon der fünfte Animefilm, der es seit 2020 in die Top 10 erreichte.
Neue Chancen für einen Oscar
Die weltweite Nachfrage an japanischen Animes stieg in den letzten zwei Jahren nämlich um 118 %, was sie zu einer der am stärksten wachsenden Medienbranchen macht. Wenn Animes in der breiten Bevölkerung also immer mehr zum Mainstream gehören und das Profil des Oscar-Committees sich dieser immer stärker annähert, finden diese vielleicht in Zukunft endlich mehr Beachtung bei der Vergabe der Oscars und weiteren Filmpreisen.
Die Chance für einen Oscar
Und spätestens diesen Sommer erwartet jeden Animefan ein Must-see mit Studio Ghiblis neuem Animefilm „How Do You Live?”, welcher der erste traditionell animierte Film seit 2014 sein wird und auch der erste, dessen Produktion Hayao Miyazaki seit 2013 wieder leitet und der wohl auch sein letzter sein wird. Der Mitbegründer des Studios ist mittlerweile 82 Jahre alt und in Verbindung mit dem Filmtitel und der Tatsache, dass es für diesen Titel weder Marketing-Kampagnen, noch Informationen, wie den Cast oder die Story gibt, erwartet uns hier wohl wortwörtlich eine große Überraschung – die dann vielleicht auch endlich mal wieder einen Oscar für die Animebranche nach Hause holt.